Volume 16, Number 1
Clinical Article
Hörscreening bei Neugeborenen an Geburtenabteilung und
Neugeborenen-Intensivstationen
Kunigunde Welzl-Mueller, Kurt Stephan, Doris Nekahm,
Almut Hirst-Stadlmann, Viktor Weichbold
Klinische Abteilung für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen, Universität
Innsbruck, Austria
Adresse: Kunigunde Welzl-Mueller,Klin. Abt.
für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen, Anichstr. 35, A-6020 Innsbruck, Austria
Zusammenfassung
Das universelle Hörscreening bei Neugeborenen d.h. Vorsorgeuntersuchung bei allen
Neugeborenen - hat sich als wirkungsvolle Maßnahme zur Früherkennung von konatalen
Hörschäden erwiesen. Allerdings vertreten einigen Autoren nach wie vor die Meinung,
ähnliche Effizienz ist auch durch Beschränkung des Hörscreenings auf intensivpflichtige
Neugeborene oder Säuglinge sowie auf Neugeborene und Säuglinge mit erhöhtem Risiko für
Hörschäden - gezieltes Screening - zu erreichen. Wir untersuchten daher, wie viele
hörgeschädigte Säuglinge durch universelles Hörscreening und wie viele durch gezieltes
Screening an Neugeborenen-Intensivstationen an der Univ.Klinik in Innsbruck entdeckt
wurden. Im Zeitraum Jänner 1995 bis Juli 1998 wurden insgesamt 14 frühhörgeschädigte
Säuglinge entdeckt, davon sechs durch gezieltes Screening und zusätzlich acht aufgrund
es universellen Screenings. Dies weist darauf hin, daß universelles Screening wesentlich
wirkungsvoller ist als gezieltes Screening.
Schlüssewörter:
Neugeborenen Hörscreening
Angeborene Schwerhörigkeit
Risikofaktoren
Einleitung
Sowohl in Europa (1) als auch in den USA (2-4) wurde die Einführung eines generelles
Hörscreenings bei Neugborenen - d.h. bei allen Neugeborenen - mehrfach empfohlen. Nach
wie vor wird allerdings diskutiert, ob es nicht zielführender wäre, das Screening gezielt
durchzuführen und auf Neugeborene bzw. Säuglinge an Neugeborenen-Intensivstationen und
Säuglinge mit erhöhtem Hörschadensrisiko zu beschränken (5, 6, 7, 8, 9).
Der Anteil an hörgeschädigten Neugeborenen, die auf Grund von Risikofaktoren bzw. bei
Aufenthalt an Intensivstationen entdeckt werden, variiert sehr stark. Allgemein wird
angenommen, daß bei ca. 50% der hörgeschädigten Kinder Risikofaktoren vorliegen
(10-16), allerdings werden auch Werte bis zu 70% angeführt (19). Der Anteil an
intensivpflichtigen Säuglinge an der Gesamtzahl der hörgeschädigten Kinder wird
durchschnittlich mit ca. 35% angegeben (10, 16, 18), es finden sich aber auch wesentlich
höhere Werte (>60%) (17). Kritiker des universellen Hörscreenings argumentieren
daher, daß der Großteil der hörgeschädigten Neugeborenen bereits durch Begrenzung des
Screenings auf 2 Populationen entdeckt werden könnte: 1) Neugeborene mit Risikofaktoren
und 2) intensivpflichtige Neugeborene bzw. Säuglinge. Ein universelles Screening wäre
daher überflüssig. Befürworter des universellen Hörscreening hingegen argumentieren,
daß der Prozentsatz von hörgeschädigten Kindern, die bei dem gezieltem Screening
unentdeckt bleiben, relativ hoch ist und daher das generelle Hörscreening erforderlich
ist (15, 16, 17).
Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, das Ergebnis des Hörscreenings unter zwei
verschiedenen Bedingungen zu erheben: in der Geburtenabteilung und in der
Neugeborenen-Intensivabteilung. Ermittelt werden sollte, wie viele Kinder während des
Untersuchungszeitraumes durch Scre= ening ausschließlich an der
Neugeborenen-Intensivstation und wie viele zusätzlich durch universelles Hörscreening
entdeckt wurden. Die Ergebnisse sollten dazu beitragen, bei der Einführung von Programmen
eines Neugeborenen-Hörscreening zu entschieden, ob es sich auf intensivpflichtige Kinder
beschränken sollte oder ob ein universelles Hörscreening anzustreben ist.
Methode
Die Untersuchung ist retrospektiv und umfaßt die Ergebnisse des Hörscreenings im
Zeitraum Jänner 1995 bis Juli 1998 an zwei Abteilungen der Universitäts-Klinik
Innsbruck: a) Geburtenabteilung der Frauenklink und b) Neugeborenen-Intensivabteilung der
Kinderklinik. An der Geburtenabteilung wurden in diesem Zeitraum insgesamt N=5857
Neugeborene getestet, an der Intensivstation N=805 Säuglinge. Während des gesamten
Zeitraumes wurde an beiden Abteilungen dieselbe Methode (Transient evozierte otoakustische
Emissionen, Modus Quickscreen) und unter Verwendung derselbenApparatur (Echoport)
eingesetzt. Das Testprotokoll ist zweistufig, d.h. besteht das Kind den Test beim ersten
Versuch nicht, wird der Test noch vor Entlassung wiederholt. Üblicherweise werden Babys
der Geburtenstation erstmals innerhalb der ersten 48 Stunden getestet, Babys der
Intensivstation wenn die Entlassung absehbar ist. Für Babys, die das Screening (Test
einschließlich Wiederholung im Bedarfsfall) nicht bestehen, wird ein Termin zur Kontrolle
bzw. Abklärung des Hörvermögens innerhalb von 4 Wochen vereinbart. Die Abklärung
erfolgt an der Abteilung für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen der Univ.Klinik
Innsbruck. Dabei wird als erstes die Messung der otoakustischen Emissionen wiederholt,
sind sie nicht nachzuweisen, erfolgt eine umfassende Abklärung einschließlich Ableitung
der frühen auditorisch evozierten Potentiale.
Hörschädigung ist in diesem Zusammenhang definiert als bleibende, beidohrige
Schallleitungs- oder Schallempfindungsschwerhörigkeit, mit einem Mittelwert des
Hörverlustes im Frequenzbereich zwischen 500 und 4000Hz von mehr als 30dB.
Ergebnisse
Tabelle: Ergebnisse des Neugeborenen-Hörscreenings auf der Geburtenstation und der
Neugeborenen-Intensivstation
|
Geburtenstation |
Intensivstation |
Gesamt |
Population(N) |
5857 |
805 |
6662 |
Screening nicht bestanden (N) |
57 |
29 |
86 |
Zuweisungsrate (Referrate) (%) |
0.97 |
3.6 |
- |
Ergebnis der Abklärung bekannt
(N) |
41 |
16 |
57 |
Ergebnis der Abklärung
unbekannt (N) |
16 |
13 |
29 |
Hörschädigung bestätigt (N) |
8 |
6 |
14 |
Positiver Vorhersagewert (%) |
19.5 |
37.5 |
---- |
Die Ergebnisse sind in der Tabelle zusammengefaßt. Auffallend ist dabei der sehr
niedrige Anteil an Kindern der Geburtenabteilung, die das Screening nicht bestanden haben
(<1%), d.h. von 1000 Kindern, die getestet wurden, haben weniger als 10 Kinder den Test
nicht bestanden und mußten daher einer weiteren Abklärung zugeführt werden. Auch an der
Neugeborenen-Intensivabteilung war der Anteil niedrig <4%, ein Wert der als Grenzwert
im "Year 2000 Position Statement" (4) angeführt ist. Allerdings war in beiden
Populationen der Anteil an Kindern, für welche die Terminvereinbarung zur Abklärung
nicht eingehalten wurde, hoch. Daher liegen nur bei 41 von insgesamt 57 Kindern (72%) der
Geburtenstation und bei 16 von 29 Kindern (55%) der Intensivabteilung die Ergebnisse nach
der Abklärung vor.
Eine Hörschädigung wurde bei insgesamt 14 Kindern diagnostiziert, wobei sechs Kinder
(43%) durch gezieltes Screening und weitere acht Kinder (57%) durch das universelle
Hörscreening, entdeckt wurden. Der positive Vorhersagewert für das Screening auf der
Geburtenstation beträgt ca. 20%, und ca. 40% auf der Neugeborenen-Intensivstation.<= /P>
Diskussion
Nach wie vor wird die Frage diskutiert, ob universelles Hörscreening durch gezieltes
Hörscreening bei Neugeborenen bzw. Säuglingen der Intensivstation und Neugeborenen, mit
bekannten Risikofaktoren ersetzt werden sollte. Allerdings wurde das Risikoregister
wiederholt revidiert (15) und einige Risikofaktoren werden gegensätzlich diskutiert (19).
Dies dürfte einer der Gründe dafür sein, warum der Anteil an hörgeschädigten Kindern,
die Risikofaktoren aufweisen, uneinheitlich ist. In der vorliegenden Untersuchung
beschränkten wir uns ausschließlich auf den Aufenthalt an der
Neugeborenen-Intensivstationen als Risikofaktor und verglichen das Ergebnis des Screening
an dieser Abteilung mit dem Ergebnis des universellen Screenings.
Während des Untersuchungszeitraumes wurden insgesamt 14 hörgeschädigte Babys
entdeckt, 8 (57%) durch Screening auf der Geburtenstation, und 6 (43%) durch gezieltes
Screening an der Neugeborenen-Intensivstation. Dieser Anteil liegt etwas über dem
üblicherweise in der Literatur angegebenen Wert von ca. 35%. Allerdings wurde mehr als
die Hälfte der hörgeschädigten Kinder an der Geburtenabteilung entdeckt. Dies bedeutet,
daß ein gezieltes Screening, welches sich nur auf Neugeborene-Intensivstationen
beschränkt, keinen adäquaten Ersatz für das universelle Hörscreening darstellt.
Die vorliegenden Ergebnisse weisen darauf hin, daß universelles Hörscreening
wesentlich wirkungsvoller ist als ein gezieltes Screening. Allerdings darf nicht
übersehen werden, daß sich "gezieltes" Screening hier nur auf die
Neugeborenen-Intensivstation beschränkt. Diese Beschränkung ist jedoch für die
vorliegende Fragestellung aus zwei Gründen berechtigt: erstens, die Bedeutung einiger
Risikofaktoren wird nach wie vor unterschiedlich beurteilt; und zweitens, auch allgemein
anerkannte Risikofaktoren können bei der Geburt übersehen werden. Diese trifft
insbesondere auf den für frühkindliche Hörschädigung sehr wichtigen Faktor der
familiären Schwerhörigkeit zu. Sehr oft wird diese erst retrospektiv erhoben und ist bei
der Geburt noch unbekannt, mitunter wird sie von den Eltern auch verschwiegen.
Ein Problem, mit dem wir in der vorliegenden Untersuchung konfrontiert wurden, ist der
hohe Anteil an Kindern, die das Screening nicht bestanden haben, und die in der Folge für
die Studie verloren gingen. An der Neugeborenen-Intensivstation waren es insgesamt 13 von
29 Babys (45%), bei denen die Abklärung nicht an der Univ.Klinik Innsbruck durchgeführt
wurde. Dies ist teilweise dadurch bedingt, daß Kinder von peripheren Krankenanstalten
ohne Intensivstation an die Univ.Klinik transferiert wurden und nach Entlassung aus der
Intensivpflege wieder zurück transferiert wurden; die weiteren Untersuchungen erfolgten
dann vor Ort ohne Rückmeldungen. Allerdings war in Einzelfällen auch die fehlende
Kooperation der Eltern Grund dafür, daß es zu keiner weiteren Abklärung kam. Bedenkt
man, daß der positive Vorhersagewert bei Kinder der Intensivtabteilung, die das Screening
nicht bestanden haben, 40% beträgt, so ist das Risiko, daß tatsächlich ein Hörschaden
vorliegt, hoch. Wichtig ist daher, daß bei Screening Programmen nicht nur die
Einrichtungen für die notwendigen Folgeuntersuchungen zur Verfügung stehen, sondern daß
den Eltern auch die Notwendigkeit, daß bei ihrem Kind das Hörvermögen abgeklärt werden
muß, bewußt gemacht wird.
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